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Januar 11, 2011 / der Red.

Die Ruhe vor dem Pleitensturm

Manch einer bildet sich tatsächlich ein, dass in Bayern kein Kneipensterben zu erwarten sei. „Der erwartete Super-Gau blieb aus“,  jubelt man etwa, nachdem in Regensburg – angeblich – bis Anfang Dezember, also binnen vier Monaten, noch keine einzige Kneipenschließung erfolgt sei. Das ist freilich ungefähr so zielführend, als würde man am Morgen nach einer Liebesnacht konstatieren, es sei ja erfreulicherweise folgenlos geblieben, daß man das Kondom nicht übergezogen hat – nur weil die Freundin in der Zwischenzeit noch kein Kind zur Welt gebracht hat. Denn ein bestehender Pachtvertrag kann ja nicht einfach wegen des Rauchverbots von jetzt auf gleich gekündigt werden, und genausowenig, wenn ein Lokal deswegen nicht mehr kostendeckend geführt werden kann. Der Vertrag muß trotzdem erfüllt werden. Das Rauchverbot ist kein Mangel an der Mietsache, das musste bereits ein Wirt in einem anderen Bundesland erfahren, der mit dieser Begründung seinen Vertrag vorzeitig zu beenden versuchte.

Aufgeben können also nur diejenigen, deren Verträge gerade auslaufen oder die aus ihren Verträgen aussteigen können. Und aufgeben müssen zusätzlich diejenigen, bei denen es schon vorher wackelig gewesen ist oder die nicht über Rücklagen verfügten, um einen Einbruch auffangen zu können – in der Regel mit hohen Schulden. Der große Rest wurstelt sich durch, obwohl die Umsatzeinbrüche erheblich sein sollen. Manche bis zum Vertragsende, andere hoffen auf die warme Jahreszeit, um Mindereinnahmen ausgleichen zu können, und wieder andere hoffen, daß die Politik doch noch Einsehen zeigen wird – oder dazu gebracht werden kann, Einsicht zu erlangen.

Ich nutze die Gelegenheit gerne, auch noch einmal ausdrücklich auf die beiden geplanten Demonstrationen gegen das Rauchverbot hinzuweisen:

  • Nürnberg: Samstag, 15. Januar · 16:00 – 19:00, Treffpunkt ist um 16.00 an der Lorenzkirche in Nürnberg
  • München: Montag, 24. Januar · 18:00 – 21:00, Münchner Freiheit

Den Organisatoren von hier aus gutes Gelingen und möglichst viele Teilnehmer! Noch ist es nämlich möglich, in Bayern ein größeres Kneipensterben abzuwenden. Denn die Auswertung statistischer Daten anderer Länder (GB und Irland), die zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen März 2004 und Juli 2007 ein totales Rauchverbot in der Gastronomie einführten, zeigt, daß das eigentliche Kneipensterben überall im zweiten Rauchverbotsjahr einsetzte – aber dann ganz massiv.

Die Auswirkungen in Irland können dabei bereits über den längsten Zeitraum beobachtet werden.  2004 gab es dort 9964 Pubs (siehe oben verlinkte Quelle). 2010 waren davon noch 7616 übriggeblieben. Mehr als ein Fünftel aller Lokale hat im Lauf von sechs Jahren geschlossen, und es zeichnet sich ab, dass die Sache nach wie vor noch längst nicht ausgestanden ist. Und das, obwohl deutsche Irland-Urlauber während der vollen sechs Jahre immer heilige Eide schworen, das Rauchverbot sei bei ihrem Besuch in dem tollen, urigen Pub in Dublin, wo sie gewesen waren (höchstwahrscheinlich ein Touristenlokal) überhaupt kein Problem gewesen. Aber in die Pubs, die das Rauchverbot als Erstes traf, nämlich diejenigen in ländlichen Regionen, deren Gäste aus der Nachbarschaft kamen, verschlägt es Touristen wohl doch nicht ganz so oft.

Da staunt man natürlich, wenn eine Zeitschrift, noch dazu eine, deren gastronomischer Fachverstand, gelinde gesagt, unter Durchschnitt liegt, einem folgenden Bären aufzubinden versucht: Die befürchteten negativen Effekte auf die Gastronomie seien, behauptete die Ärzte-Zeitung frohlockend,  nirgendwo auf der Welt eingetreten und die Warnungen hätten sich „als das entpuppt, was sie waren: Phrasen von Lobbyverbänden“. Anlaß für diese triumphierenden Worte war eine Studie norwegischer Gesundheitsökonomen. „In der wissenschaftlichen Literatur gebe es keine einzige Studie, die einen ökonomischen Einfluss von Rauchverboten auf die Gastronomie zeige“, zitiert die Ärzte-Zeitung mit sichtlichem Behagen. Rauchverbot-Bayern-Blog begab sich auf die Suche nach dieser norwegischen Arbeit. Und wurde fündig.

Die Entwarnung der Ärzte-Zeitung ist, gelinde gesagt, voreilig . Die von den Norwegern ausgewertete „wissenschaftliche Literatur“ war erstens nämlich mit sage und schreibe 19 Quellen, von denen auch nur der kleinere Teil die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rauchverbots beschrieb, augesprochen spärlich und umfaßte zweitens nur Quellen aus sehr wenigen Ländern, darunter kein einziges aus Europa (mehrere Berichte über Kalifornien, einmal Kanada, einmal Australien). Das verwundert doch ein wenig, denn wir schreiben inzwischen das Jahr 2010. Seit 2004 haben fast alle europäischen Länder partielle und etliche unter ihnen das totale Rauchverbot eingeführt: Irland, Italien, Großbritannien, Frankreich. Darunter sind Irland (2004)  und Italien (2005) neben Norwegen die Länder, in denen der Zeitraum der Einführung des Rauchverbots ausgezeichnet für einen Vergleich geeignet gewesen wäre.

Bloß, es gibt aus keinem dieser Länder eine Studie, die sich mit den Auswirkungen auf die Gastronomie befaßt. Ist doch wirklich komisch, daß die Wissenschaft an genau diesem Teilbereich so gar kein Interesse zu haben scheint, oder? Oder sollten da etwa alle Studien mit unerwünschten Ergebnissen sofort in der Schublade verschwunden sein? Jedenfalls, auch wenn die Ärzte-Zeitung das gerne anders hätte: Die Welt besteht keineswegs nur aus Kalifornien, Australien und Kanada, auch dann nicht, falls die dortigen Erfolgsmeldungen stimmen sollten, was an dieser Stelle nicht nachgeprüft werden kann. Und auch wenn die Tabakkontrolle sich hüten wird, eine Studie zur irischen und britischen Kneipen-Misere vorzulegen: die amtlichen statistischen Daten liegen vor, und man kann sich aus ihnen leicht auch ohne Hilfestellung der Ärzte-Zeitung ein Bild machen.

Norwegens neue Tabakgewohnheiten wurden den rauchfreien Kneipen angepaßt.

In diesem Fall: Herzlichen Glückwunsch, Norwegen, als das anscheinend erste und einzige europäische Land, in dem hinreichend plausibel gemacht werden konnte, daß jedenfalls dort die Umsatzeinbrüche vergleichsweise bescheiden ausgefallen sind. Ob das aber auch bedeutet, daß in dem skandinavischen Land keine Kneipen am Rauchverbot eingegangen sind, ist von hier aus dann doch nicht zu sagen, denn mangels Norwegischkenntnissen war ich leider nicht in der Lage, die Zahl der gastronomischen Betriebe vor und nach dem Rauchverbot herauszufinden.  Auch in Irland, das genauso wie Norwegen zur Zeit der Rauchverbotseinführung einen Wirtschaftsboom erlebte und dessen Bevölkerung kräftig durch Zuwanderung wuchs, erfolgte das Kneipensterben nämlich parallel zu einer scheinbaren Normalisierung der Umsätze der gesamten Branche zwei Jahre nach dem ersten Einbruch, die freilich hinter den Umsatzzuwächsen anderer Branchen sehr, sehr weit zurückblieb. Für die in die Pleite getriebenen Wirte war es allerdings kaum ein Trost, daß die Umsätze der Gesamtbranche sich vorübergehend besserten.

Oder ob es vielleicht auch daran liegt, daß auch die Skandinavier ein Schlupfloch in die Rauchverbotsregelung eingebaut haben? Das jedenfalls behauptet Wikipedia, wo erwähnt wird, dass bei Veranstaltungen (Dichterlesungen, Vernissagen) das Rauchverbot keine Gültigkeit habe – was eigentlich bedeuten müsste, dass auch für Privatfeiern dasselbe gilt. Es könnte sich damit um eine ähnlich Regelung handeln wie die Geschlossenen Gesellschaften in Bayern – aber damit befinde ich mich nun endgültig im Reich der Spekulation. Nachhilfe aus den Reihen der Leser ist willkommen: Wer weiß Näheres über die norwegische Regelung? Sachdienliche Hinweise  bitte an Rauchverbot-Bayern-Blog.

In Norwegen wird wieder mehr geraucht.

Was die Autoren der Studie außerdem verschweigen, ist eine verblüffende Entwicklung bei den Tabakkonsumgewohnheiten, die parallel zum Untersuchungszeitraum (der bis Sommer 2007 reichte) erfolgte. Schnupftabak, bis dahin eine kaum noch verbreitete Altmännergewohnheit, kam urplötzlich zu ganz neuer Popularität – und zwar vor allem unter jungen Leuten, denen man sicher auch in Norwegen besondere Ausgehfreudigkeit unterstellen kann. In der Zwischenzeit ist eine Entwicklung, die in anderen Ländern mit strengen Rauchverboten ebenfalls zu beobachten war, nun auch bei den Skandinaviern angekommen: Die Zahl der Raucher, die dort seit Ende der neunziger Jahre kontinuierlich gesunken war und mit Einführung des Rauchverbots besonders kräftig sank (siehe Grafik), stieg im Jahr 2009 auf einmal wieder an. Gleichzeitig ist Schnupftabak aber weiterhin gerade bei jungen Leuten extrem populär geblieben – Raucher und Schnupfer zusammengenommen umfassen deutlich mehr als die Hälfte der männlichen Bevölkerung unter 45 Jahren. Ein Zusammenhang mit dem Rauchverbot kann von hier aus nicht bewiesen werden. Ihn zu vermuten, ist allerdings kaum besonders weit hergeholt. Die Norweger wissen sich also offenbar zu helfen, was die Kombination von Tabakwaren und Kneipen betrifft. Der bayerischen Gastronomie wäre es sicherlich nicht unrecht, sollte die hiesige Jugend den Norwegern nacheifern, allerdings ist das eher nicht zu erwarten. Denn der Schnupftabak hat auch sonst nirgends in Europa eine solche erstaunliche Sonderrolle beim Rauchverbot gespielt wie in Skandinavien.

Schnupftabak war im Jahr 2009 unter jungen Norwegern populärer denn je.

Der nordisch-relaxte Umgang mit dem Reizthema Tabak paßt allerdings der WHO überhaupt nicht in den Kram. Obwohl Norwegen viel Eifer bei der Einführung des Rauchverbots in der Gastronomie gezeigt hatte und das zweite Land Europas war, das das Rauchen in der Gastronomie verbot, und obwohl seine Tabakwaren zu den teuersten der Welt zählen und sogar seit 2010 nur noch unter der Ladentheke verkauft werden dürfen, werden die Bemühungen des Landes von der Weltgesundheitsorganisation immer noch als unzureichend kritisiert.  Norwegen, fordert die WHO, solle nun gefälligst auch das Rauchen in Privatwohnungen und sogar in privaten Gärten verbieten.

Die Norweger, auch die norwegischen Ärzte und das Gesundheitsministerium, reagierten mit verwundertem Kopfschütteln und sichtlich unangenehm berührter Reserviertheit. In Skandinavien schätzt man das Eindringen in die Privatsphäre nämlich ganz und gar nicht. Rauchverbot-Bayern-Blog aber wurde jetzt hellhörig: Haben wir nicht gerade in den letzten Wochen ein Flut von angeblich wissenschaftlichen „Studien“ erlebt, in denen samt und sonders behauptet wurde, das Rauchen der Eltern in der eigenen Wohnung sei für deren Kinder ganz entsetzlich gesundheitsgefährdend? Klopft bei uns in Deutschland womöglich demnächst Vater Staat an unsere Wohnungstüren und verlangt bei Strafandrohung, wir sollen nun auch daheim das Rauchen einstellen?

Diese sogenannten Studien sind, näher betrachtet, mit Wissenschaft ähnlich nahe verwandt wie die zweifelhafte „Wissenschaft“ der Astrologie ihrer höchst ehrenwerten Schwester Astronomie, aber man ist ja im Lauf der Menschheitsgeschichte schon mit noch dümmeren Vorwänden aufs Pferd gestiegen, um mit wehenden Fahnen in den heiligen Krieg zu ziehen. Über viele der in dem Artikel zitierten vermeintlich wissenschaftlichen Arbeiten könnte man eigentlich nur lachen, wenn nicht jedes Mal die Frage aufkäme, wozu eigentlich so abwegige Untersuchungen durchgeführt werden wie die nach der Frage, ob rauchende Mütter kriminelle Kinder haben, und warum sie so dringend glauben, ungünstige Ergebenisse für die rauchenden Mütter herausbekommen zu müssen, daß man Zusammenhänge herstellt, über die jeder ernstzunehmende Wissenschaftler eigentlich nur den Kopf schütteln kann. Trotzdem aber werden solche obskuren Machwerke in angesehenen Fachzeitschriften abgedruckt, und die Medien greifen sie auf. Was anderes sollte damit bezweckt werden, als sie in politische Forderungen umzumünzen?

Gerade Norwegen sollte uns dabei vor allem als warnendes Beispiel dienen: Die WHO ist ums Verrecken nicht zufriedenzustellen. Da kann sich ein Land auf den Kopf stellen und brav und folgsam alles machen, was es nach Meinung der „Experten“ tun soll; das einzige was dann passiert, wenn alles wunschgemäß umgesetzt wurde, sind neue Vorwürfe, weil das alles ja noch längst nicht genug sei, verknüpft mit Forderungen nach neuen, noch weitergehenden Verboten. Wie lange mag es noch dauern, bis bei der norwegischen Regierung endlich der Groschen fällt und sie begreift, was für ein übles Spiel mit ihr getrieben wird? Es ist den Norwegern zu wünschen, daß es bald geschieht, noch bevor sich im hohen Norden die Politiker an den Gedanken gewöhnt haben, den Respekt vor der Privatsphäre ihrer Bürger so vollständig abzulegen, wie sich das die WHO wünscht.

Noch viel mehr ist aber zu hoffen, daß die Bayerische Staatsregierung noch ein bißchen fixer im Begreifen als Norwegen ist – und wenn das nicht von alleine geschieht und auch die göttlichen Weisungen, so wie immer, irgendwie nicht bei ihr ankommen, dann müssen wir es ihr begreiflich machen. Der Eingriff in die Privatsphäre hat in das der geschäftlichen Entscheidungen der Gastronomie begonnen – und wenn wir das akzeptieren, werden sie über kurz oder lang auch vor unserer Wohnungstür stehen und uns dort unsere Entscheidungen abnehmen wollen.

One Comment

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  1. Reinhold / Jan 12 2011 4:37 am

    Ich war schon öfters in Norwegen (und kenne dort Leute), in mehreren Ortschaften, klein wie groß, aber eine dortige „Kneipenkultur“, so wie sie es bei uns oder etwa in Irland gibt, wäre mir nun wirklich unbekannt. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, wenn dort weniger Kneipen am Rauchverbot eingegangen sind … wenn es sie eh nicht gab. 🙂

    Gastronomisch ist Skandinavien für mich seit jeher tot (bzw. hat nie gelebt). Man muss sich dort etwas ansparen, um seine mitteleuropäischen Gäste zu bewirten und etwas Trinkbares an der Tankstelle zu holen, das man dann in der eigenen Hytte serviert. Wo man dann natürlich auch rauchen darf. Jedenfalls noch.

    Norwegen: Echt kein Vorbild für uns, kein Vergleich.
    Würde da nicht leben wollen, so schön die Landschaft auch ist.

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