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November 3, 2010 / der Red.

… und dann is‘ hoffentlich a Ruh!

Falls Sie den Witz selbst kennen, haben Sie sicherlich bereits bei der Überschrift geschmunzelt. Für alle anderen hier erst einmal die vollständige Fassung. Bitte denken Sie sich den Dialekt aber selbst dazu. Den in eine lesbare Schriftform zu bringen, das überschreitet nämlich leider meine Fähigkeiten:

München, in der guten alten Zeit. Zwei Damen in der Tram geraten in Streit. Die eine nämlich besteht darauf, das Fenster zu öffnen. „Sonst ersticke ich!“, behauptet sie. Bei geöffnetem Fenster, wehrt sich die andere, werde sie erfrieren. So keifen die beiden sich an, bis der Schaffner kommt. Der hört sich beide an, und dann entscheidet er salomonisch: „Jetzt machen wir erst das Fenster auf, dann erfriert die eine. Und dann machen wir es wieder zu, und dann erstickt die andere. Und dann is‘ hoffentlich a Ruh.“

Etwas ganz ähnliches wie die beiden Damen erleben die Kneipen in Bayern gerade. Das Rauchverbot ist gerade mal drei Monate alt, und längst zeichnet sich schon ab, welche Kneipen in Gefahr sind zu „erfrieren“, weil ihnen nämlich die Gäste wegbleiben. Aber die Verfechter der Verbotskultur haben nicht einmal so viel Anstand wie der Schaffner, wenigstens abzuwarten, bis dieser Teil der Gastronomie die letzten Zuckungen hinter sich hat. Schon jetzt ahnen die Kneipen, Bars und Discotheken, bei denen die Gäste brav weiterkommen – ja, auch solche gibt es selbstverständlich -, daß sie zu früh aufgeatmet haben. Denn jetzt soll es den neuerdings so genannten „Lärmrauchern“ an den Kragen gehen. Und damit befinden sich jene Lokale dann in genau derselben Situation wie die fröstelnde Dame in der Tram: Ihnen geht es ebenfalls an den Kragen.

Aber was ist das eigentlich, ein Lärmraucher? – Die Wortschöpfung ist neu, und die Antwort lautet ganz platt: Es sind diejenigen Raucher, die sich genau so verhalten, wie es die Ja-Sager beim Volksentscheid von ihnen verlangt haben. Die weiterhin ausgehen, sich amüsieren, der Gastronomie Umsätze verschaffen, und die dabei zwischendurch zum Rauchen eben vor die Tür gehen. Es ist aber nicht so, daß sie sich heimlich und verschämt zum Rauchen in irgendwelche finsteren Ecken drücken. Vielmehr stehen sie vor vielen Lokalen in fröhlichen Grüppchen zusammen und unterhalten sich. Unterhaltungen aber, zumal in vom Alkohol fröhlich-beschwingter Stimmung, sind mit Geräuschen verbunden. Und die werden von den Nachbarn nicht so gerne gehört. Das gilt um so mehr, je vorgerückter die Stunde ist.

Ausgerechnet in Passau, der Stadt, in der der Mann lebt, der Gesicht und Stimme der Vorkämpfer für das Rauchverbot gewesen ist, Sebastian Frankenberger, preschte man vor, um mit dem Übel der „Lärmraucher“ kurzen Prozeß zu machen. „Zum Schutz der Anwohner“, schrieb die Stadtverwaltung die Wirte an, „soll es vermieden werden, dass sich die Raucher vor dem Lokal gemütlich einrichten.“

Das schlägt nun wirklich dem Faß den Boden aus. Erst wird man gegen seinen Willen aus der gemütlichen Kneipe in die Kälte hinausgetrieben, und dann wird einem vorgeworfen, man würde es sich dort gemütlich machen. Nach dem Willen der Stadt Passau sollen es den Rauchern draußen vor der Kneipentür nun auch noch so ungemütlich wie möglich gemacht werden – Heizpilze etwa sind nicht erlaubt, nur ein einzelner Aschenbecher wird den Wirten ab 23 Uhr als Raucherausstattung draußen noch zugestanden. Hineinlassen darf man sie aber auch nicht mit ihren Glimmstengeln. Was also sollen sie dann eigentlich machen, die Raucher, anstatt stumm vor sich hinzubibbern? Lieber gleich daheimbleiben?

Den Anwohnern wäre das vielleicht nicht einmal unrecht. Aber das gilt natürlich nicht für den Wirt, der sich ja gerade noch darüber gefreut hatte, daß er, anders als viele Kollegen, von seinen Einnahmen noch leben kann. Das gilt nämlich möglicherweise nicht mehr, wenn seine treuen rauchenden Gäste nun endgültig vergrault werden. Als Großstadtbewohner kann man es den Nachbarn zwar nachfühlen, denn seinen Nachtschlaf läßt sich nun einmal keiner gerne rauben. Aber als Raucher kann man nur den Kopf schütteln. Das alles hätten sich diese Nachbarn doch auch schon vor dem Volksentscheid denken können!

Es ist ja auch nicht so, daß im Frühjahr und Sommer nicht ausdrücklich vor dieser unweigerlichen Konsequenz des totalen Rauchverbots gewarnt worden wäre – und zwar auch von Wirten, die Anfang 2008, als die Raucherclublösung noch nicht ausdrücklich vom Gesundheitsministerium legitimiert worden war, schon leidvolle Erfahrungen mit verärgertn Nachbarn gemacht hatten.  Es wäre auch für die Anwohner von Kneipen ein ausgezeichneter Grund gewesen, mit einem Nein beim Volksentscheid auch ihre eigene Nachtruhe zu sichern.

Nun, da es dafür zu spät ist, sorgen die Nachbarn derjenigen Kneipen, in denen weiterhin etwas los ist, für viel Beschäftigung bei Polizei und Ordnungsamt.  Lokale, die es vielleicht noch geschafft hätten, das Rauchverbot zu überstehen, kapitulieren statt dessen vor unerfüllbaren Auflagen der Behörden und den Anwohnerbeschwerden. Und weil das der Obrigkeit natürlich auch alles schon wieder zu viel wird, denkt man auf einmal über eine Wiedereinführung der erst vor wenigen Jahren abgeschafften bayernweiten Sperrstunde nach.

Damit würde – zusätzlich zu denen, die das Rauchverbot bis dahin bereits dahingerafft hat -, dann natürlich dann auch den Kneipen, deren Hauptumsätze die nächtlichen sind, der Garaus gemacht. Sauber, oder? Aber auch das ist noch längst nicht alles. Denn ein neues Gespenst geht plötzlich um in Europa. Und dieses Gespenst heißt: Passivtrinken. Der Begriff hat es bislang noch nicht in die deutschsprachige Presse geschafft, wohl aber die „Studie„, die eine britische Aktivistengruppe zu diesem Begriff inspiriert hat. Sie stammt von Professor Nutt*, seines Zeichens „Experte“. Er fordert ein radikales Umdenken in Bezug auf Drogen, von denen Alkohol diejenigen mit den schlimmsten Folgen sowohl für den Konsumenten als auch für nichttrinkende Dritte sei.

* Ich kann nichts dafür – der heißt wirklich so, so als wäre er von Kindesbeinen dazu verdammt gewesen, zu einem sprichwörtlichen „verrückten Professor“ zu werden, den man auf Englisch für gewöhnlich als „nutty professor“** bezeichnet.

** Ja, ich weiß. „Games with names“, also Namensverballhornungen, sind unfein. Aber, geben Sie’s zu, es wäre auch Ihnen in diesem Fall schwer gefallen, sie zu unterlassen – oder?

Leider nur auf Platz 6: Verliert Tabak jetzt seinen Nimbus als gefährliche Killerdroge?

Nach der festen Überzeugung von Professor Nutt ist es gar nicht der Tabak, den es wegen besonders gravierender gesellschaftlicher Folgschäden besonders dringend zu bekämpfen gilt, sondern der Alkohol. Und das rief die erwähnte Aktivistengruppe auf den Plan, die nichts Eiligeres zu tun hatte, als die gesellschaftlichen Kosten des nun auf einmal so genannten „Passivtrinkens“, von dem uns die Antiriege immer mit treuherzigem Augenaufschlag versichert hatte, das gäbe es gar nicht, auszurechnen. Für Großbritannien kam man dabei auf die stolze Summe von 13 Milliarden Pfund als Folgekosten des Passivtrinkens. Egal, wie ernst man solche Zahlen nimmt: Es darf bezweifelt werden, ob man beim Passivrauchen auch nur annähernd an einen solchen Betrag herankäme.

Für die ohnehin schon gebeutelten Kneipen freilich bedeutet diese neue Erfindung natürlich neues Ungemach, denn nach den Erfahrungen der letzten Jahre kann man sich an seinen Fingern abzählen, welche Folgen diese bahnbrechenden neuen Erkenntnisse haben werden: Nach den Kneipen, die durch das Rauchverbot zum Aufgeben gezwungen wurden, und nach denen, die eine Sperrzeitverlängerung nicht überleben werden, werden sich die heiligen Eiferer für die Volksgesundheit nun natürlich neue Beschränkungen ausdenken, um auch dem Übel des Passivtrinkens Herr zu werden.

Vielleicht fangen sie es ja genauso an wie bei den Zigaretten? Bei denen wurden schon vor Jahren obere Grenzwerte beim Nikotin- und Kondensatgehalt festgelegt. Liebhaber starker Zigarettensorten, etwa der legendären Gitanes Maisblatt, trauern schon lange um die Art von Zigaretten, die ihnen am liebsten gewesen sind. Genau das kann auch beim Alkohol kommen. Aber womöglich dürfen Wirte künftig ja auch nur noch eine maximale Anzahl alkoholischer Getränke an ihre Gäste ausschenken. Oder sie müssen nach jedem Bier dem Gast, ob es ihm paßt oder nicht, ein Glas Milch ausschenken.

Lachen Sie jetzt bloß nicht! Wer hätte vor ein paar Jahren nicht über die Vorstellung eines Rauchverbots in Kneipen gelacht? Und ein Wort wie „Passivtrinken“ kannten Sie doch bis gerade eben noch gar nicht, oder? Die Gesundheitswahnsinnigen werden schon Mittel und Wege finden, um dem Alkohol auf genau dieselbe scheinheilige, moralisierende Weise zu Leibe zu rücken wie dem Tabak. Sie werden von „vermeidbaren Todesfällen“ schwadronieren und jeden Kneipenwirt, der einzuwenden wagt, daß er doch nun einmal vom Verkauf von Alkohol lebt, ohne viel Federlesens mit der Moralkeule niederstrecken. Denn schließlich kann doch niemand ein Recht beanspruchen, anderen Leuten Tod, Elend und Krankheit zu verkaufen, nicht wahr?

Wer gerne Wetten mit mir darüber abschließen möchte, was das Bundesverfassungsgericht dazu meinen könnte: Ich stehe dafür jederzeit zur Verfügung und lehne mich hier und jetzt schon mit einer Prognose aus dem Fenster. Die Entscheidung wird meiner festen Überzeugung nach dieser hier sehr ähnlich sehen (Hervorhebungen durch mich):

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Urteil vom 30. Juli 2008
entschieden, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert
ist, dem Gesundheitsschutz gegenüber den damit beeinträchtigten
Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Gastwirte und der
Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen und ein striktes
Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen (vgl. BVerfGE 121, 317 <357
ff.>). Angesichts seines Einschätzungsspielraums ist es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Landesgesetzgeber
auch den beim Rauchen von Wasserpfeifen entstehenden Tabakrauch in der
Umgebungsluft als Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung ansieht.
Entscheidet sich der Gesetzgeber wegen des hohen Rangs der zu
schützenden Rechtsgüter für ein striktes Rauchverbot in allen
Gaststätten, so darf er dieses Konzept konsequent verfolgen und muss
sich auch nicht auf Ausnahmeregelungen für solche Gaststätten einlassen,
bei denen – wie bei so genannten Shisha-Bars – das Rauchen Teil des
gastronomischen Konzepts ist. Auch die besondere Belastung des
Antragstellers begründet keine verfassungsrechtlichen Zweifel am
strikten Rauchverbot. Denn eine stärkere Belastung von Inhabern
bestimmter Arten von Gaststätten – bis hin zur Gefährdung ihrer
wirtschaftlichen Existenz – ist angesichts der ohne Ausnahmen für alle
Gaststätten geltenden Regelung durch hinreichende sachliche Gründe
gerechtfertigt, weshalb weder Ausnahme- noch Härteregelungen
erforderlich sind.

Und damit wird dann das Schicksal der Kneipen endgültig besiegelt sein. Und wenn dann die letzte Kneipe ihre Räumlichkeiten einer Wellness-Teestube überlassen muß oder künftig ganz leersteht – dann endlich wird der Geist der WHO über den Wassern der Isar schweben, die Bürgersteige werden in der Landeshauptstadt endlich wieder um zehn Uhr abends hochgeklappt und die Spießerseele sinkt nach tagesfüllender gesundheitsfördernder Beschäftigung abends immer ungestört in ihren wohlverdienten Schlaf.

Dann wird es in München genauso ruhig und erholsam sein wie auf einem Friedhof. Und dann is‘ endlich a Ruh.

7 Kommentare

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  1. Reinhold / Nov 4 2010 2:15 am

    Klasse Artikel (wieder mal)!

  2. bitter_twisted / Nov 4 2010 10:33 am

    Die häufigste Ursache für nötige Eingriffe in unserer Gesellschaft, sind Eingriffe aus der Vergangenheit.

  3. Jürgen Vollmer, Marburg / Nov 4 2010 12:10 pm

    Trefflichst auf den Punkt gebracht, wie ein Rädchen ins andere greift, bis aus anfangs nur kleinbürgerlichem Spießertum ein neuer Verbotsfaschismus herangereift sein wird.

    Jürgen

  4. mentizidal / Nov 6 2010 10:17 am

    Angenehm zu lesen. Lachen musste ich trotzdem.

    • rauchverbotbayern / Nov 6 2010 10:24 am

      Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Hoffen wir, daß wir dafür nicht doch noch eines Tages bei Strafandrohung in den Keller geschickt werden.

  5. Azer / Nov 11 2010 5:34 pm

    du hast schon alls gesagt….was kann mann noch machen….wer kann antworten….

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